Varianten für Kesselsdorfer Straße zwischen Reisewitzer und Rudolf-Renner-Straße
Stellungnahme zur Vorplanung Kesselsdorfer Straße zwischen Reisewitzer und Rudolf-Renner-Straße (V2054/17) und den Ergebnissen der neuen Variantenuntersuchung
Dresden, den 26. Oktober 2018
Sehr geehrte Mitglieder des Stadtbezirksbeirates Dresden-Cotta,
sehr geehrte Mitglieder des Stadtrates Dresden,
in Ihren kommenden Sitzungen werden Sie sich mit der Vorplanung für den „mittleren“ Teil der Kesselsdorfer Straße befassen (V2054/17). Es geht um die bestimmende Gestaltung des „Herzens von Löbtau“.
Unsere Bitte an Sie ist: Die aktuelle Vorlage (Variante A) ist aus unserer Sicht unbedingt abzulehnen. Bitte fassen Sie einen neuen Beschluss und legen Sie sich auf eine Zwei-streifige Planungsvariante (von uns „Variante Boulevard Löbtau“ genannt) fest und geben diese für die Umsetzung in Auftrag.
Rückblick
Die Kesselsdorfer Straße gilt historisch als alleeartige Handelsstraße, die nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer der wichtigsten Einkaufsstraßen in Dresden aufstieg. In den 1990er- / 2000er-Jahren verfiel sie zusehends, auch der ÖPNV im Dresdner Westen entwickelt sich kaum – die DVB wollte die Linie 12 sogar einstellen. Hoffnung versprach die zugesagte Entlastung durch die neue Tangente Coventrystraße. In den letzten Jahren ist Löbtau wieder zu einem gefragten Stadtteil geworden, junge Menschen ziehen in den Stadtteil, hier wohnen mittlerweile wieder viele Familien. Eine neue Weichenstellung hin zu einem neuen Stadtteil und auch Lebensgefühl schien der politische Entschluss zur Schaffung einer modernen Zentralhaltestelle in Löbtau – viele sprachen damals bereits von einem Boulevard.
Im Januar diesen Jahres dann der Schock: Die Stadtverwaltung möchte das Herzstück der Kesselsdorfer Straße, also den Teil, der direkt an die Zentralhaltestelle anschließt und der wichtigste Verbindungsbereich zwischen Löbtau-Nord und Löbtau-Süd ist, zu einer reinen Pkw-Durchfahrtsstraße degradieren. Wir machten das Vorhaben öffentlich und forderten Bürgerbeteiligung. Auf diesen Druck hin wurde eine Infoveranstaltung im Kino in der Fabrik anberaumt. Der Saal war rappelvoll und viele Bürgerinnen und Bürger zeigten sich unzufrieden mit den Planungen, die von Verwaltung und DVB als alternativlos dargestellt wurden. Der Ortsbeirat stimmte in der folgenden Sitzung für eine kleine Änderung der Vorlage (Tempo 30 im östlichen Teil), der Bauausschuss gab weitere Varianten zur Prüfung in Auftrag.
Einschätzung der neuen Ergebnisse
Die nun vorliegenden Ergebnisse der Prüfungen bestätigen zum einen, dass der Verkehr durch die neue Zentralhaltestelle deutlich sinken wird (um über 2.000 Kfz/Tag). Zum anderen zeigen sie, dass die Sperrung des Bereichs zwischen Bünaustraße und Wernerstraße in allen Varianten möglich ist. Die Aussagen zu den geprüften Varianten zeigen jedoch auch neue eklatante Schwächen, welche wir im Folgenden auflisten:
1. Problem: Außer Pkw und Straßenbahn wird nichts betrachtet
In den vorliegenden Varianten ergeben sich teilweise massive Nachteile für den Fußverkehr. Mit den darin erhobenen Ansprüchen an das schnelle „Durchfließen“ von Pkw-Verkehr ergeben sich sehr lange Wartezeiten für den Fußverkehr an den Lichtsignalanlagen und den Querungsstellen entlang der Straße. Vor allem aber wird die Gehwegfläche, außer in Variante C, massiv reduziert. In der von der Verwaltung favorisierten Variante wird die ganze Straße breiter und greift auf Flächen vor dem Annenfriedhof zu. Lediglich eine Kombination aus Variante B mit der Fahrbahnbreite von Variante C (also ohne Straßenverbreiterung) würde auch eine Verbesserung für den Fußverkehr bedeuten. In diesem Fall könnten sogar Bäume auf der Nordseite eingeplant werden.
Die Qualitäten im Fußverkehr (und auch im Radverkehr) werden nicht neben die Qualitäten im Pkw- und Straßenbahnverkehr gestellt, sie werden einfach weggelassen. All jene, die nicht in motorisierten Fahrzeugen sitzen (also auf dem Gehweg, auf dem Fahrrad, an den Haltestellen, in und vor den Geschäften, auf Bänken, an den Ampeln etc.) werden ignoriert. Der Bereich zwischen Wernerstraße und Rudolf-Renner-Straße wird von Passanten kaum weniger frequentiert wie der östliche Bereich der Planung – auch aufgrund des durchgehenden Geschäftsbesatzes ist er gemäß dem am 19.04.2007 vom Stadtrat beschlossenen Zentrenkonzepts ebenfalls Teil des Ortsteilzentrums. Zudem ist der Bereich aufgrund des Annenfriedhofs städtebaulich besonders sensibel: er wäre eher ein Kandidat für eine anspruchsvolle, platzartige Gestaltung denn für die Degradierung zur reinen Verkehrsachse.

Auszug aus dem Zentrenkonzept im Themenstadtplan Dresden: Ortsteilzentrum Löbtau
Der Stadtrat hat auf Antrag der CDU-Fraktion beschlossen, eine Verkehrsraumkonzeption für Löbtau in Auftrag zu geben (A0439/18). Das Ziel des Konzeptes ist u.a., „Vorschläge zu entwickeln, wie eine Verlagerung des Verkehrs auf die Coventrystraße erfolgen kann“. Die jetzt geplante Festlegung auf eine breite Variante für die Kesselsdorfer konterkariert dieses Ziel des Beschlusses.
2. Problem: Alleinige Bewertung der Varianten anhand des Ausnahmefalls, nicht anhand des Alltags an der Straße
Die alleinige Bewertung einer Straßen(variante) nach dem sogenannten Spitzenstundenwert des motorisierten Verkehrs an einzelnen Knotenpunkten ist aus unserer Sicht eine fatale Verkürzung, insbesondere für eine Straße mit so vielen unterschiedlichen Funktionen und Nutzungsformen. Wenn wir die Nacht als weniger wichtig betrachten, bleiben für eine ortszentrale Geschäftsstraße ungefähr 6.000 Stunden pro Jahr, in denen auf ihr gefahren, gelaufen, eingekauft, gegessen, gesessen, gestanden, gewartet etc. wird. Das sind auch 6.000 Stunden für die Nutzung des Seitenraumes (Fußverkehr, Gastronomie und Geschäfte …).
Die Orientierung am Spitzenstundenwert des Pkw heißt nichts anderes, als die Straße auf das Niveau eines reinen Verkehrshindernisses degradieren. Die Kesselsdorfer Straße ist aber die gute Stube von Löbtau. Alle Menschen, die im Verlaufe eines Jahres auf oder an der „Kellei“ unterwegs sind, haben das Recht, dass ihre Nutzung oder ihre Ansprüche an diese Straße auch beachtet werden (Erholen, Flanieren, Einkaufen, Spazierengehen, mit dem Fahrrad-Bahn-Bus-Pkw durchfahren, Rumstehen, etwas essen, auf der Bank sitzen, sich treffen, einfach nur überqueren, vom Frühstückstisch beim Bäcker draufschauen …).
Ob eine Variante aber „funktioniert“ oder nicht, bewertet die Verwaltung allein an dem Ausnahmezustand im Pkw-Verkehr. Dafür werden die 50 „verkehrsreichsten“ Stunden für den Pkw-Verkehr auf der Kesselsdorfer Straße (über 1 Jahr!) als Bewertungsgrundlage genommen. Unangenehm heißt hier, dass die Pkw in einzelnen Abbiege-/Fahrbeziehungen 2-3 Minuten länger warten müssen, als in den restlichen 5.950 Stunden. Folgende Grafik zeigt die Verkehrsverhältnisse an einer Straße im Jahresverlauf (exemplarisch). Gut zu erkennen ist, dass die Orientierung an der 50. Spitzenstunde eine Überdimension der Straße zur Folge hat, denn im nahezu kompletten restlichen Jahresverlauf so eine breite Fahrbahn gar nicht nötig ist wird.

Kfz-Verkehr im Jahresverlauf und 50. Spitzenstunde (exemplarische Darstellung)
Unser Vorschlag: Variante Boulevard Löbtau
Hinweis: Weiter unten (Anhang) befindet sich eine Übersicht über die Varianten.
Im Westlichen Teil von Wernerstraße bis Rudolf-Renner-Straße bleibt die Straßenbreite wie im Bestand (21,90 m). Darauf werden zwei Fahrstreifen für den motorisierten Verkehr (Tram und Pkw) und zwei Radfahrstreifen eingeplant. Im nördlichen Bereich wird ein breiter Seitenraum für Gehweg, Straßenbäume und Geschäftsauslagen einplant (ca. 6-7 m – enstpricht der Breite im Bestand). Diese Variante wurde anscheinend bisher nicht geprüft – ob sie funktionieren kann (und welche flankierenden Maßnahmen dazu notwendig wären) kann entsprechend derzeit niemand wissen.
ÖPNV: Für die Straßenbahn kann durch entsprechende Koordinierung der Lichtsignalanlagen auch bei einem gemeinsam mit dem Kfz-Verkehr genutzten Fahrstreifen eine hohe Verkehrsqualität sichergestellt werden. Eine Koordinierung der beiden Kreuzungen ist so oder so notwendig (und laut Vorlage auch geplant).
Im Östlichen Teil von Wernerstraße bis Reisewitzer Straße kann die bereits geprüfte Sperrung des Abschnittes Bünaustraße bis Wernerstraße (Haltestellenbereich) für den Pkw-Verkehr (auch in neuer Variante 2b enthalten) die Aufenthaltsqualität deutlich erhöhen. Auch Tempo 30 und der Verzicht auf (Dauer-)Parkplätze entlang der Straße werten das Ortsteilzentrum auf. Die Auslastung der Parkhauses an der Löbtau-Passage ist weiterhin gering, ein komplettes Parkdeck steht dort ganzjährig leer.
Wir wünschen Ihnen ein gutes „Händchen“ für Löbtau und freuen uns, wenn unsere Forderungen, Wünsche und Anregungen Ihnen dabei behilflich sind. Für Rückfragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.
Mit fußverkehrsfreundlichen Grüßen
Frank Kutzner, Sprecher von „Dresden zu Fuß“
Anhang: Varianten für Abschnitt Wernerstraße - Rudolf-Renner-Straße

Vergleich der Querschnitt-Varianten für den Mittelabschnitt der Kesselsdorfer Straße zwischen Werner-Straße und Rudolf-Renner-Straße