Totenkopf statt grünem Pfeil
Mitteilung des Fachverbandes Fußverkehr Deutschland vom Oktober 2018 (gruenpfeil.de).
Der grüne Pfeil zum Rechtsabbiegen an Ampeln ist gefährlich, meist illegal angebracht und nutzlos. Das zeigen schon länger Studien der TU Dresden und Erhebungen von FUSS e.V.
„Wo an einer Ampel ein grüner Abbiegepfeil hängt, sollte besser ein giftgrüner Totenkopf aufs Blechschild. Wir gehen von insgesamt 100.000 schweren Unfällen jährlich in Deutschland aus.“ So summiert Peter Struben seine Erkenntnisse aus 40 Jahren Grünpfeil-Praxis in Deutschland. „Der Grünpfeil ist gefährlich, oft illegal angebracht und untergräbt die Verkehrsmoral“, sagt der Grünpfeil-Experte des Fußgänger-Fachverbands FUSS e.V., der zusammen mit dem FUSS-Vorsitzenden Arndt Schwab eine Studie publiziert hat. „Drei Viertel der Pfeile dürfte nach den Vorschriften zu ihrem Anbringen gar nicht hängen. Und drei Viertel der Autofahrer brechen am Grünpfeil die Sicherheitsregeln. Das macht Grünpfeil-Ampeln zu chronischen und brandgefährlichen Unfallstellen.“ FUSS e.V. fordert die Entfernung des Pfeils überall, wo Fußgänger und Radfahrer die Straße queren und der Pfeil sie gefährden und behindern kann.
Wie schlampig und sogar rechtswidrig viele Städte vorgehen, zeigt schon 2015 ein Bericht der TU Dresden und der Unfallforschung der Versicherungen (UVD). In keiner der untersuchten 59 Städte waren alle Pfeile gemäß der gültigen RiLSA“-Richtlinie angebracht. 76 Prozent der Städte beachteten nicht alle Kriterien. Fast die Hälfte der Städte ignorierte die Sicherheitsanforderungen für Seh- oder Gehbehinderte, viele missachten bis heute den geforderten Schutz von Schulkindern und Radfahrern. „So häufig, wie die Städte ihre Grünpfeil-Regeln brechen, tun das vor Ort die Autofahrer“, stellt Peter Struben fest. „Ich habe schon an Ampeln gestanden, wo die Regeln fast im Sekundentakt gebrochen werden.“ Das gilt vor allem für die Vorschrift, bei grünem Pfeil, aber roter Ampel an der Linie vor dem Fußgänger-Überweg zu stoppen. „Durchfahren ohne Halt kostet theoretisch 70 Euro und einen Punkt in Flensburg“, weiß Peter Struben. „Aber das wird fast nie kontrolliert, und drei Viertel halten sich nicht dran.“ Der Forschungsbericht von 2015 hatte für Deutschlands Grünpfeil-Hauptstadt Dresden eine Regelbrecher-Quote von 70 Prozent, für Köln sogar von 81 Prozent ermittelt.
Entsprechend gefährlich sind die Grünpfeil-Orte. Die Auswertung von 505 Kreuzungen und Einmündungen in fünf Städten ergibt: An jedem der 169 Grünpfeil-Orte gab es im Schnitt in drei Jahren 20 Unfälle; 1.033 Menschen wurden verletzt. An Ampeln ohne Blechpfeil gab es im Schnitt nur je 14 Unfälle. Struben schätzt: „Allein in Dresden kracht es wegen des Grünpfeils etwa viermal pro Woche.“ Fast immer trifft es Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer aus der Querstraße, die auf ihr Grün vertraut hatten. Die Gefahr potenziert sich, wenn der eine bei Rot rechts abbiegt und dann andere mitzieht, die glauben, auch sie hätten freie Fahrt. Manchmal werden auch die bestraft, die vor der roten Ampel zunächst korrekt anhalten: Grünpfeil-Raser rechnen nicht mit solch regeltreuen Verhalten und fahren von hinten auf.
Doch nicht wenige Autofahrer sind Grünpfeil-Fans, die sich Zeitgewinn und Spritsparen durch weniger Standzeit versprechen. Doch das geht oft an der nächsten Ampel wieder verloren. Die Studie von 2015 stellte „keine Einsparungen hinsichtlich der Reise- und Wartezeiten sowie der Haltzeitanteile bei Nutzung der Grünpfeil-Regelung fest“ und deshalb auch „keine Tendenz, wonach sich mit Nutzung der Grünpfeil-Regelung Vorteile hinsichtlich des Kraftstoffverbrauches ergeben. Dagegen verlängern sich die Wege von Fußgängern und Radfahrern, wenn Autofahrer wegen des Grünpfeils deren Wege blockieren und sie aufs nächste Grün warten müssen. Aus all dem folgern Peter Struben und Arndt Schwab: „Es gibt keine sicheren und sinnvollen Grünpfeile. Mindestens bei Fuß- und Radwegen müssen sie allesamt verschwinden.“ Struben kündigte an, die Bundesländer als Genehmigungsbehörden auf den Bruch von Vorschriften für das Anbringen hinzuweisen. „Wenn der Pfeil trotzdem hängen bleibt und etwas passiert, dann haften im Ernstfall die Planer persönlich.“
Ein gefährliches Erbe der DDR
Den Grünpfeil auf Blech führte 1978 die DDR ein, weil sie einfacher zu hängen und zu betreiben waren als elektrische Signale. Nach der Einheit erkoren ihn Freunde haltlosen Autoverkehrs zu einer der wenigen erhaltenswerden DDR-Errungenschaften. Zwar warnte im Dezember 1990 der gerade ins Amt gekommene Bundes-Verkehrsminister Günter Krause aufgrund seiner langjährigen Ost-Erfahrung: „Eine dauerhafte Beibehaltung dieser Regelung … kann aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht in Betracht kommen.“ Doch da politisch ein Symbol für die Anerkennung ostdeutscher Leistungen gefragt war, blieb er im Osten zunächst erhalten und kam 1994 in die gesamtdeutsche Straßenverkehrsordnung. Experten und engagierte Bürger wie Peter Struben warnten schon damals vor dem Tabubruch, dass erstmals das Fahren bei Rot erlaubt wurde.
Berlin, Halle, Solingen: Warten, bis es neunmal kracht
Ein typischer Ort der Grünpfeil-Misere in Berlin liegt am Ostbahnhof. Wo die Straße der Pariser Kommune, der Mühlendamm und der Stralauer Platz zusammenkommen, verstößt die Verkehrsverwaltung gleich gegen drei Grünpfeil-Regeln: Autofahrer haben nicht genug freie Sicht in die Querstraße. Es kann aus mehreren Spuren rechts abgebogen werden. Das führt zu wilden Manövern, wenn zum Beispiel Rechtsabbieger links andere überholen, die korrekt an der roten Ampel warten. Außerdem drohen oft Kollisionen mit Autofahrern, die auf der Querstraße regeltreu bei einem Leucht-Grünpfeil auf ihrem Weg zum Bahnhof wenden und nicht damit rechnen, dass plötzlich jemand aus der Querstraße mit „Rot“ kommt.
„Wer als Fahrer diesen grünen Pfeil nutzt, ist völlig überfordert“, hat Struben beobachtet. „Er muss fast gleichzeitig auf Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer aus sechs verschiedenen Richtungen achten. Zweimal kurz hintereinander überquert er Überwege, auf denen Fußgänger grün haben.“ Und Peter Struben zitiert den Polizeibericht einer Grünpfeil-Fahrt am 13.April 2018 mit schrecklichem Ende: „Ersten Ermittlungen zufolge war die 33-Jährige mit ihrem Ford auf der Straße der Pariser Kommune in Richtung Stralauer Platz unterwegs. Als sie, vermutlich bei Rot, rechts in die Mühlenstraße abbog, erfasste sie den 22-Jährigen, der bei Grün die Mühlenstraße überquert haben soll. Der Fußgänger erlitt bei dem Zusammenstoß lebensgefährliche Verletzungen.“
Sechs Monate danach hängt der grüne Pfeil hier immer noch. Abgehängt wird er oft erst, wenn es zu spät ist: An der Merseburger Straße und am Glauchaer Platz in Halle (Saale) verschwand er erst, nachdem an beiden Kreuzungen Fußgänger bei Grün verletzt worden waren. Die Verkehrsbehörde im rheinischen Solingen rang sich an der Ritterstraße sogar erst nach neun Grünpfeil-Unfällen zum Abbau durch.
Grünpfeil für Radfahrer: Gefährlicher Unsinn – besser kurz schieben!
Einen eigenen Grünpfeil für Radfahrer prüft derzeit die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in einem Modellversuch in Köln, München und Bamberg. Auch sie sollen bei Rot erst halten, Fußgänger durchlassen, und sollen dann bei freiem Überweg nach rechts abbiegen dürfen. FUSS e.V. hält dieses Projekt für unsinnig und überflüssig. „Wenn heute 75 Prozent der Autofahrer die Stop-Regel am Grünpfeil brechen, würden das künftig fast 100 Prozent der Radfahrer tun. Wer zu Fuß über seine grüne Ampel geht, wird dann noch mehr gefährdet und behindert – vor allem Kinder, alte Leute, Geh- und Sehbehinderte.“ FUSS schlägt zur Beschleunigung des Radverkehrs eine simple Alternative vor: „Wer bei Rot recht rum will, kann einfach absteigen, sein Rad ein paar Meter über den Gehweg schieben und sich dann wieder in den Sattel schwingen. Das ist schon heute legal und stört bei rücksichtsvollem Gehen und Schieben keinen Fußgänger.“
Weitere Infos unter: gruenpfeil.de
